Angefangen hatte seine Faszination für alles Olfaktorische schon in frühester Kindheit: Mit einem empfindsamen Geruchssinn und einer offensichtlichen Begabung ausgestattet, machte sich Paul Divjak bereits als 7-Jähriger ans Sammeln von Kräutern, Pflanzen und Hölzern; begeistert von der Vielfalt beglückender Wohlgerüche. Heute widmet sich der gebürtige Wiener dem Phänomen Duft/Geruch transdisziplinär in den Bereichen Literatur, Medienkunst, Kulturwissenschaft und Praxis. Zuletzt veröffentlichte er den Band „Der parfümierte Mann“. Uns verrät er im Duftinterview, warum sich Männer heute nicht mehr trauen, animalisch zu riechen und warum für ihn Wien manchmal am Meer zu liegen scheint.

Foto © Rainer Hosch

Herr Divjak, in den Siebzigern parfümierten sich Männer ziemlich animalisch. Warum traut sich das heute keiner mehr?
Das sogenannte Animalische erlebt derzeit, soviel lässt sich sagen, wieder ein Revival. Immer mehr Parfum-Manufakturen, wie beispielsweise der Franzose Briac Frocrain mit Marlou, setzen auch auf Nicht-Alltägliches, Körperliches, mitunter Herausforderndes. Diesbezüglich liegt, gerade in Zeiten, in denen alles in unserer Produkt- und Warenwelt künstlich beduftet wird, ein altes Oxymoron nahe: Weniger ist tatsächlich oft mehr. Es gilt mit einem solchen Parfum nicht unbedingt eine riesige Sillage hinter sich herzuziehen. Die Kunst liegt darin, auf minimale Projektion zu setzen und nur eine zarte Duftspur zu hinterlassen, eine Art Versprechen anzudeuten. 

»Die Botschaft ist ‚Sprühstösschen‘!«

Wann und warum begannen Männer, möglichst „clean“ zu duften?
Dieses Duftkapitel wurde in den 1980er-Jahren – nicht zuletzt durch die Entdeckung neuer Aromachemikalien – aufgeschlagen. Prägnante Duftbotschaften (Drakkar noir, Guy Laroche, 1982; Fahrenheit, Dior, 1988) und puritanisch saubere, frisch-aquatische Eaux de Toilette wie Cool Water (1988) Eternity (1989) oder L’eau d’Issey pour Homme (1994), begleitet von Werbeetats von – bis dahin – nicht gekanntem Ausmaß sorgten für die propere Konsens-Parfümierung. In dem Zusammenhang ist auch der Wandel der Applikation erwähnenswert: War in Europa jahrzehntelang der klassische – körpernahe – Schüttflakon beliebt, so musste dieser spätestens ab Anfang der 1980er Jahre endgültig dem, auf dem US-amerikanischen Markt favorisierten, Vaporisateur, dem heute dominierenden Sprühkopf weichen, der ein „sauberes“ Auftragen aus sicherer Distanz ermöglicht. Clean: die Duftbotschaft, clean auch die Anwendung. – Sprühstösschen!

Glauben Sie, dass die Covid-Krise zu einem Rollback führen wird? Beginnt jetzt sogar ein besonders hedonistisches Zeitalter?
Wünschenswert wäre in jedem Fall eine Rückbesinnung auf den Geruchssinn, eine neue Lust am Akt des Riechens wie auch der Freude am wohlkomponierten Parfum als körperliche Erfahrung. Steht doch eines außer Frage: Beim olfaktorischen Facettenreichtum handelt es sich um ein täglich aufs Neue zu entdeckendes Sinnes-Geschenk.

IfeO – Institut für experimentelle Olfaktorik – gemeinsam mit dem Apotheker Alexander Ehrmann ©Nina Keinrath

»Ich trage Düfte gern Probe.«

Wie steht es mit Ihnen? Tendieren Sie eher zum Animalischen oder zur Sauberkeit?
Ich trage gerne jeden Tag einen anderen Duft. Oft sind es aktuelle Prototypen von Parfums, die ich gerade entwickle. Ich trage sie Probe, geben ihnen Zeit, sich zu entfalten, die Richtung einzuschlagen, die mir bei der Komposition vorschwebt. Vor einigen Wochen habe ich zudem die klassischen Kreationen des französischen Parfümeurs Raymond Chaillan wiederentdeckt. Dabei handelt es sich um Vintage-Düfte, die von einer bestimmten Epoche in der Parfumhistorie erzählen. Ob »Monsieur de Rauch« (1966), »Pour Homme« (Yves Saint Laurent, 1971), »Ho Hang« (Balenciaga, 1971) oder »Monsieur Carven« (1978): Chaillan ist und bleibt ein Meister der eleganten Komposition, in der frisch-zitrische, würzig-holzige Noten und auch das wohldosierte Animalische komplexe Verbindungen eingehen, deren harmonische Leichtigkeit mich immer wieder aufs Neue begeistert. Erst kürzlich habe ich online einen Original-Flakon von Chaillans mittlerweile äußerst rar gewordenem »Eau de Vetyver« (für Yves Rocher, 1982) erstanden: Eine zeitlose, grün-würzige Duft-Pretiose mit wunderbar animalischem Drydown – Moschus, Bibergeil und Zibet in wohlkomponierter Ausgewogenheit.

»Geöltes Parkett und ungelüftete Turnhallen.«

Was beschreibt den Duft Ihrer Jugend?
Der Geruch des Alltags war geprägt vom geölten Parkettboden des Klassenzimmers und jenem der ungelüfteten Turnhalle samt lederüberzogenen Turnkästen und Sprungpferden. Wet-Gel (»Stu-Stu-Studio Line von L´Oréal«), Bic-Parfums, Axe-Deosprays und Jugendschweiß komplettierten das olfaktorische Erleben. Der Sommer brachte dann den Geruch der großen Ferien auf der griechischen Insel. Die warme Luft schmeckte nach Meer, es roch nach trockenem Gras, dem sonnenerhitzten Schlauchboot, Après Sun-Lotion von Nivea, mediterraner Küche, Metaxa-Cola – und Loulou von Cacharel.

»Würstel und Rosen, Pferdeäpfel und Manner-Schokolade.«

Könnten Sie Wien für uns olfaktorisch in Worte fassen?
Hier riechen die Pferdeäpfel am Stephansplatz, dort vermengen sich der Manner-Schnitten-Schokoladengeruch, die Brauereiluft aus Ottakring, Würstelstandfett oder der Duft der Rosen im Volksgarten für die Geruchsmarkierung. Wieder anderswo schwitzen Sommerpassagiere in der U6: Die olfaktorische Bandbreite der Stadt ist groß. Spannend ist und bleibt das Amalgam aus verschiedenen Lebenswelten und Geruchseindrücken, die Vielfalt der urbanen Ausdünstungen, die in „typische Geruchsbilder“ der Stadt münden und viel über unseren Alltag, unsere Kultur erzählen. Mit der Duft-Installation »Im Prater blühen wieder die Bäume« habe ich, an unterschiedlichen von Bodenversiegelung geprägten Orten in der Wiener Innenstadt, das Geruchsbouquet von Kastanienblüten, Flieder und frisch gemähtem Gras mit Spezialequipment in der Luft verwirbelt. Die klischeehaften Geruchsimpressionen sorgten im urbanen Raum für Irritationen und Gesprächsstoff. Passant*Innen wurden mit etwas in der Luft-Liegendem konfrontiert, das sie nicht unmittelbar einzuordnen wussten. Das Wechselspiel der Stimuli macht den Reiz aus.

In Wien bläst eigentlich immer der Wind. Und wird es wärmer, erzählt diese Brise Geruchsgeschichten von Anderswo. Im Sommer scheint Wien am Meer zu liegen.

»Ich mag den Geruch von Wattenmeer!«

Welchen Ort, welches Land möchten Sie gern einmal wieder riechen?
Als Kind hat mich die autofreie Insel Baltrum fasziniert; durch die Dünen mit dem Bollerwagen. Die Insel würde ich gerne einmal wieder mit allen Sinnen erfahren; der Geruch des Wattenmeers, von Algen, Schlick und einem Hauch Schwefel. Mutter saß damals mit Großmutter im Teehaus, während meine Schwester und ich Mittagsschlaf hielten. Die Gardinen bewegten sich im Wind; warme Sommerluft, der Duft frischer Waffeln.

»Manche stinken einfach ganz gut!«

Wem möchten Sie gern einmal sagen, dass er oder sie gut riecht?
Meine Nichte hat als Kind Geruchserfahrungen begeistert kommentiert. Sie meinte schlicht: »Das stinkt gut!« Ich denke das ist ein schöner Ansatz, die ebenso bewährte wie abgenützte Kategorisierung von »das riecht gut« einerseits und »das stinkt« andererseits, ein Denken in Like/Dislike-Dichotomie, zu überwinden. – In diesem Sinne sage ich zu meinen Liebsten und nahestehenden Menschen immer wieder gerne, dass sie gut stinken.

Wonach riecht für Sie Erfolg?
Erfrischend.

Und wonach Misserfolg?
Nach gesellschaftlichem Stigma.

Auf unserer Website gibt es einen Duft-Test. Verraten Sie uns, was dabei herausgekommen ist?
Gerne: Die grünen Kompositionen aus dem Frau Toni-Portfolio. Allen voran aus der Berlin-Serie: Berlin Summer, Bogota Berlin und Eau de Berlin. – Ich bin schon neugierig, diese Düfte kennenzulernen. Sie würden wohl für den nächsten Berlin-Besuch perfekt passen.