Bildcredits: Edgar Rodtmann
Kerstin Ehmer studierte unter anderem Theater- und Filmwissenschaften, arbeitete in den 1990er Jahren als Reportagejournalistin und Lifestylefotografin und eröffnete 2001 gemeinsam mit ihrem Mann die Berliner Victoria Bar. 2013 erschien ihr Sachbuch „Die Schule der Trunkenheit“, vier Jahre wurde Ihr Roman-Debut „Der weiße Affe“ veröffentlicht, Auftakt ihrer erfolgreichen Krimireihe um Kommissar Spiro im Berlin der Goldenen Zwanziger. Die vielseitige Wahl-Berlinerin erklärt uns im Duft-Interview, wie das Berlin der 1920er Jahre roch und wie ein Spritzer Parfum zu einer Belohnung werden kann.
Parfüm ist für mich…
…ein Elixir, das wundersamerweise in der Lage ist, beinahe jede Emotion, startend mit Entzücken über „so lala“ bis hin zu Schaudern, hervorzurufen.
Deine Romanreihe rund um den Kommissar Ariel Spiro spielt in den goldenen Zwanziger Jahren in Berlin. Wie würdest du diese Kulisse olfaktorisch beschreiben?
Sicher keine Blumenwiese. Geheizt und gekocht wurde oft noch mit Kohle, Koks oder Briketts, was jeweils eine andere Art von Brandgeruch erzeugt. Nicht zu vergessen die mehr als 30.000 Pferde, die in den Remisen der Stadt lebten und auf den Straßen arbeiteten…
Es war aber auch die Zeit, in der orientalische und exotische Düfte auf den Markt kamen und die Palette bereicherten. Maiglöckchen versus Patchouli sozusagen. Die Damen hatten nun die Wahl.
»Meine Kindheit roch nach frischem Gras, Chlor vom Freibad und vergorenen Pflaumen«
Du bist in Hamm aufgewachsen und für dein Studium der Theater- und Filmwissenschaften sowie der Amerikanistik und Philosophie nach Berlin gezogen. Wie würdest du den Duft deiner Kindheit beschreiben?
Ich wuchs in einem Haus mit großem Garten direkt am Stadtrand auf. Dahinter lagen Felder und Weiden. Die Sommer meiner Kindheit waren durchzogen vom Chlor des Freibads, vom Geruch frischgemähten Grases, darin in der Hitze vergärende Pflaumen, von Wespen umschwirrt.
Ab und an die süße Welle, die ein Sommerregen über den Feldern und den Wildblumen an ihren Rändern freisetzt. Ein unfassbar toller Duft.
Welchen Moment würdest du gerne einmal als Duft konservieren?
Beim Wandern im Gebirge gibt es diesen Moment, an dem man den kühlen Wald hinter sich lässt und der idealerweise sonnenbeschienene Fels beginnt. In dieser Übergangszone mischt sich der Duft von Nadelbäumen mit kaum wahrnehmbaren Mineralien und wahrscheinlich Ozon.
Das Herz wird sehr weit. Leichtigkeit und der Inbegriff von Frische.
Hast du einen olfaktorischen Lieblingsort? Und wenn ja: kannst du diesen beschreiben?
Auf jeden Fall mein Garten. Da duftet das Laub der Tomaten neben Minze, Rosmarin, Iris, Rosen und Lavendel. Darunter Humus und Kompost. Ein Schnitt mit der Gartenschere, ein Stich mit Schaufel oder Jätehaken in den Boden und ein neuer Duft wird freigesetzt. Jede Ecke riecht unter- wie oberirdisch anders.
»Ich belohne mich manchmal mit einem Spritzer Parfum«
Wie beeinflussen Düfte deine Stimmung?
Es gibt Räume, deren Geruch ich nicht ertrage. Das kann ein aufdringliches Duftpotpourri in einem Hotelkorridor sein, oder Schichten von Staub, übereinandergelegt in längeren Zeiträumen unter Luftabschluss. Das geht gar nicht. Da muss ich raus.
Auf der anderen Seite belohne ich mich mit einem Spritzer Parfum, richte mich wieder auf oder wappne mich für was immer da kommen mag.
Hat sich dein Duftempfinden über die Jahre verändert?
Definitiv. Weg von Blumen hin zu Hölzern, Gewürzen, Tees und grünen Zitrusfrüchten. Weg vom Gefälligen, hin zu Düften, die ich spannend finde. Notfalls auch zunächst als Einzige.
Im Jahr 2001 hast du mit deinem Mann die „Victoria Bar“ am Potsdamer Platz eröffnet, an deren Wänden auch viel Kunst zu bewundern ist. Wenn dein Lieblingskunstwerk ein Duft wäre, wie würde es riechen?
Da muss ich passen. Ein Lieblingskunstwerk habe ich nicht, sondern alle, die hängen, sind Lieblinge. Die Reihe der Duftnoten, die sie in Übersetzung ins Olfaktorische verkörperten, würde diesen Rahmen sprengen.
»No. 18 Bogota Berlin muss ich unbedingt ausprobieren!«
Was ist dein Lieblingscocktail und wonach duftet er?
Mein Lieblingscocktail ist ein historischer Cocktail, heißt nicht grundlos „The Rose“. Verwandt mit dem Martini besteht seine Basis aber aus Kirschwasser statt Gin oder Wodka, plus Vermouth und einem knappen Barlöffel ausgezeichneten Himbeersirups. In der „Schule der Trunkenheit“ habe ich ihn als „Das Haute Couture Defilée unter den Short Drinks“ beschrieben. Er kommt in einem wunderschönen Art Deco Rosa und ist die perfekte Übersetzung eines Dufts in einen Cocktail.
Und zu guter Letzt: Kennst du bereits Düfte von Frau Tonis? Wenn nicht: welche Düfte empfiehlt dir unser Dufttest?
Empfohlen wird mir immer wieder No. 18 Bogota Berlin. Da komme ich nicht drumherum, den muss ich ausprobieren. Dann stehen noch No. 19 Oud weiß, No. 25 Bouquin, No. 47 Berlin Orange und No. 56 Valeria zur Auswahl.
Ich bin supergespannt.
Über die Reihe
Was beschreibt den Duft Ihrer Jugend? Wie riecht Heimat? Warum gibt es Menschen, die einem Duft das ganze Leben treu bleiben, während andere stets auf der Suche sind? In unserer neuen Interview-Reihe suchen wir nach Antworten und werfen dafür einen Blick in das olfaktorische Gedächtnis von Frau Tonis Freund*innen.