Er gilt seit Jahren als „bester Erklärer der russischen Seele“ für seine deutschen Landsleute: Wladimir Kaminer.  Der russischstämmige Schriftsteller lebt seit den 1990er Jahren in Deutschland, 2000 erschien seine Erzählsammlung „Russendisko“ und wurde ein Bestseller. Ironisch schildert Kaminer seitdem lesens- und liebenswert seine Erlebnisse als russischer Immigrant in der westdeutschen Gegenwart. Auf 3Sat präsentiert er in „Kaminer inside – Was ist Heimat?“ Kulturdenkmäler aus dem deutschsprachigen Raum, 2021 veröffentlichte der Putin-Kritiker sein Buch „Der verlorene Sommer“ und schildert unseren Umgang mit der Pandemie. Im Duft-Interview verrät er uns, wonach die Sowjetunion gerochen hat und warum er zu Hause Unmengen von Parfum-Flakons aufbewahrt.

In deinem Buch „Wie sage ich es meiner Mutter“ versuchst du auf humorvolle Art den Unterschied zwischen den Generationen zu vermitteln. Wie würdest du die Generation Z olfaktorisch beschreiben?
Ich glaube, dass diese Menschen vor allem zeitgemäß riechen wollen. Sie wollen ökologisch und genderneutral riechen. Sie wollen, dass für ihre Parfums keine Tiere sterben.

Wie muss er sein, dein perfekter Duft?
Für mich war das schon immer interessant, wenn ein Mensch mit dem Duft zusammenarbeiten kann. Ein interessanter Mensch und ein interessanter Duft ergeben zusammen etwas Drittes, das eine ganz eigene Aura verströmt. Es riecht dann nicht wie Parfum und auch nicht wie der Mensch, sondern etwas Drittes entsteht dabei. Das hat mich schon immer fasziniert. Man sagt ja nicht umsonst, dass sich Düfte auf der Haut verändern.

»Das Eau de Cologne „Rote Nelke“ wurde gegen Mückenstiche eingesetzt«

Wem wolltest du schon immer einmal sagen, dass er/sie gut riecht?
In meiner unmittelbaren Umgebung habe ich nur gut riechende Menschen, denn die beste Freundin meiner Frau arbeitet in einer Parfümerie seit 30 Jahren. Wir bekommen alle zwei Wochen Geschenke von ihr und haben deshalb sehr viel Parfum. So viel Parfum, wie meine Familie besitzt, gibt es sonst nur bei euch. 

Du bist in Moskau geboren und aufgewachsen. 1990 bist du nach Berlin gekommen. Wie würdest du den Duft deiner Kindheit beschreiben?
Parfumtechnisch war die Sowjetunion ziemlich einfältig. Es gab Eau de Cologne „Rote Nelke“, das sehr streng roch und gegen Mückenbisse und für kosmetische Zwecke eingesetzt wurde. Und in Extremfällen auch von Alkoholikern getrunken, als Ersatz für alkoholische Getränke. Das war furchtbar, sie haben das immer auf ein Stück Zucker getröpfelt und haben es dann so zu sich genommen. Eigentlich waren sowjetische Parfum sehr lustige Düfte. Moderne Parfums sind ja eigentlich immer Mischungen wie Cuvées und in der Sowjetunion waren die Düfte rein. Nehmen wir zum Beispiel „Rote Nelke“, das roch pur nach Nelke und zwar mehr als jede Nelke. Das war quasi eine ‚Nelke im Quadrat‘.

»Die Schönhauser Allee in Berlin riecht nach verbranntem Gummi, verschwitzen Menschen und asiatischer Küche.«

Und wie riecht für dich die Schönhauser Allee?
Das ist eine interessante Mischung, aus verbranntem Gummi von den U-Bahnzügen, verschwitzen Menschen und würziger asiatischer Küche. Es riecht ein bisschen nach Bangkok, würde ich sagen. Wenn der Wind nicht da wäre…

Welchen Duft trägst du abends bei deinen Veranstaltungen und Lesungen am liebsten?
Hermès, den klassischen alten Hermès. Eigentlich ist das mein Duft total, ich habe auch andere Hermès Produkte probiert, aber nichts hat mir so gut gefallen. Ich merke vor allem bei anderen Menschen in meinem Alter, dass sie immer Angst haben, dass es den Duft nicht mehr geben wird. Bei Frauen zum Beispiel oft Chanel N. 5 und aus Angst kaufen sie dann auf Vorrat. Es gibt auf Russisch ein super tolles Sprichwort dazu „Das bessere ist der Feind des Guten“. Ein sehr konservatives Sprichwort.

»Meine Zeit im Militärdienst roch nach nassem Wald.«

Wie riecht es bei dir zu Hause?
Früher hat es sehr stark nach Katzen gerochen. Vor ein paar Monaten ist unsere Tochter wieder zu uns nach Hause gezogen – mit ihren Katzen. Aber auch wenn die Katzen weg sind, riecht es trotzdem nach Katzen.

Du musstest in jungen Jahren Militärdienst in Russland leisten. Kannst du dich an einen bestimmten Geruch aus dieser Zeit besonders erinnern?
Der Geruch von Nässe ist mir in Erinnerung geblieben, nach nassem Wald. Wir waren draußen, die ganze Zeit in diesem Wald. Es war so eine halb sumpfige, halb sandige Umgebung, so, wie Brandenburg. Brandenburg hat das auch, wie irgendein Brennnessel-Dschungel im November.

Welches Land würdest du gerne bald wieder riechen?
Auf jeden Fall ein Land, wo es viele Wiesen und wenig Menschen gibt… Vermutlich Irland.

Welches Ereignis würdest du gern als Duft konservieren?
Die digitale Revolution und KI. Das ist kein zarter Duft!

Und zu guter Letzt: Kennst du schon die Düfte von Frau Tonis und gibt es eins, dass du ganz besonders magst?
Ich kenne einige eurer Produkte, aber mir sind die Namen nicht in Erinnerung geblieben. *

*Wladimir hat sich vor Ort für einen individuellen Duft entschieden: eine Kombination aus No. 05 Aventure und No. 22 Hamburg

Über die Reihe
Was beschreibt den Duft Ihrer Jugend? Wie riecht Heimat? Warum gibt es Menschen, die einem Duft das ganze Leben treu bleiben, während andere stets auf der Suche sind? In unserer neuen Interview-Reihe suchen wir nach Antworten und werfen dafür einen Blick in das olfaktorische Gedächtnis von Frau Tonis Freund*innen.